Was wir Glück nennen by Jan Steinbach

Was wir Glück nennen by Jan Steinbach

Autor:Jan Steinbach
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau digital
veröffentlicht: 2022-01-05T10:26:03.564000+00:00


Kapitel achtzehn

Die Kammer lag verwaist im Abendlicht. Wolfgangs Bett war frisch gemacht, die Kissen unangerührt. An der Stuhllehne hing sein gewaschener und gebügelter Sonntagsanzug. Monika trat ans Fenster und sah hinaus in den Hof. Außer der Katze, die lautlos an einer Mauer entlangstrich, war nichts zu sehen. Sie hoffte, dass Wolfgang bald nach Hause käme. Lange hielt sie die gefährliche Stimmung ihres Vaters, der unten am Küchentisch sein Feierabendbier trank, nicht mehr aus.

Sie hatte nichts verraten. Zumindest nichts, was nicht ohnehin aufgeflogen war. Dass Wolfgang die letzte Nacht in Hamburg verbracht und heute nicht nach Hause gekommen war, daraus war kein Geheimnis mehr zu machen. Etwas unangenehm war, dass sie ihren Bruder beim Frühstück gedeckt hatte. Wie so oft hatte sie gesagt, Wolfgang läge noch im Bett und stünde gleich auf. Doch dieses Mal war sie von ihrem Vater bei der Lüge erwischt worden. Er war stocksauer auf sie, und was das betraf, war es ihr nicht gelungen, sich rauszureden.

Doch so wütend er war, auf die Idee, dass Monika und Wolfgang ihn in den vergangenen Wochen regelmäßig auf diese Weise belogen hatten, war er nicht gekommen.

Zuerst hatte er sich Sorgen um Wolfgang gemacht, doch als sie zur Mittagspause nach Hause gegangen waren, wartete das Fräulein Fehn mit der Nachricht, dass Wolfgang sich entschuldigen ließ. Er habe Dringendes in Hamburg zu erledigen und sein Vater solle sich keine Sorgen machen.

Der begriff sofort, woher der Wind wehte. Selbst wenn er nur von wenigen Ausflügen nach Hamburg wusste, so reichte es, um darüber im Bilde zu sein, dass Wolfgang Musiker kennengelernt hatte und zusammen mit ihnen spielte. Er nahm jedes Mal die Gitarre mit, wenn er dorthinfuhr.

Unten in der Küche herrschte eisige Stimmung. Helmut war schon nach oben in seine Kammer geklettert, um ihr zu entkommen. Er hockte auf dem Bett und malte Bilder in einen Block, hatte angefangen, die Deckenfresken aus dem Rathaus abzuzeichnen, wie Monika gesehen hatte. Offenbar wollte er seinem Vater zeigen, dass er ebenfalls Talent besaß.

Die Katze verschwand hinter einer Mauer, und ein Schatten fiel von draußen auf das Kopfsteinpflaster. Endlich, da war Wolfgang. Er tauchte in der Tordurchfahrt auf, spazierte aus dem Schatten wie Orson Wells in dem Film Der dritte Mann.

Sein erster Blick wanderte zum Fenster im oberen Stockwerk, als hätte er seine Schwester dort erwartet. Er nahm die Gitarre vom Rücken und winkte ihr zu. Doch Monika deutete nach unten und zog ihren Finger über die Kehle. Er begriff sofort. Sein Lächeln gefror ein wenig, dann nickte er, wappnete sich innerlich und betrat unten das Gesindehaus.

Sie hörte die Stimme ihres Vaters. Er schrie nicht, klang aber eiskalt. Die beiden begannen eine Unterhaltung. Sie trat in den schmalen Flur, schloss Wolfgangs Tür hinter sich und steuerte die Treppe an. Die Treppenstufen knarzten, doch Vater und Sohn nahmen keine Notiz von ihr.

»Du hast nicht mal gefragt, was ich dazu sage«, sagte ihr Vater gefährlich leise. »Du hast das einfach für dich beschlossen.«

»Ich habe meinen Zug verpasst, das sagte ich doch. Ich hole den Arbeitstag nach, versprochen.«

Der Vater saß reglos am Tisch.



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